Hervorgehobener Beitrag

„Lächeln heißt eigentlich nur, dass es gar nichts zu lachen gibt.“ ~ aus dem Film Ben X

Kintsugi

Die Wunde ist noch frisch
Du siehst sie nur nicht mehr
Kinderfilme öffnen sie: ein Duft
der sich in Blut entfaltet

Manchmal vergesse ich sie
während alles vorüberzieht
schleiche ich hinterher
Ist das noch Stillstand?

Manchmal renne ich zurück
um Dein Gesicht in der Menge zu finden
unter all den Sonnenbrillen
sind keine Augenpaare

Du schicktest uns um die halbe Welt,
um einen Gipfel aus Tränen zu erklimmen
ein fremdes Rauschen in den Blättern
und Dein Platz blieb leer

Imiglykos am Bahnhof

Orte der Trauer?
Wohl eher
Sphären des Schmerzes
Transzendente Momente
Reale Traumwelten
Helfer, die Illusion zu wahren
Du bist ja noch da
Ich kann Dich nur nicht anrufen
Du begleitest mich
Ich werde Dich nur nie wieder in meine Arme schließen

Du existierst ja noch
in unserer Zwischenwelt
Habe immer schon dort gewohnt
und gehofft, Du würdest warten

Wenn ich Dich imitiere, höre ich Dich lächeln
Wenn ich ich selbst bin, spüre ich Deinen Stolz
Manchmal sendest Du mir einen Song
Ein Gedicht
Eine Notiz
Einen Menschen
Oder einen Wein in der Getränkekarte eines Restaurants
Nur eine Station von Dir entfernt
Doch weit genug, um zu verweilen
„Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben“
Mag sein, doch wie sollen wir gehen
Wenn wir zurückblieben
Als Du schon gegangen warst?

Ewiges Warten auf Deine Rückkehr
Wir werden da sein
Es gibt so viel zu erzählen
Und wir könnten uns Filme ansehen
In unserem Lieblingskino

Alles sollte anders sein
Was wir nicht getan haben, ist unverzeihlich
Im Trauerprozess sind wir die Angeklagten
Und alle sind schuld

Danke, dass ich Deine Seiten an mir freisprechen werde
Eines Tages
Danke für die Indizien
Und dass ich noch ein Leben brauchen werde,
Um unseren Fall zu lösen
Danke für Deine Reue
Vielleicht gibt es Wunderkerzen
In ewiger Untersuchungshaft

Mom

Du gabst mir Flügel
weil Du selbst frei warst.
Du lehrtest mich, rebellisch zu sein
und dabei fast so charmant wie Du.
Du schenktest mir die Rastlosigkeit:
zu ungeduldig, um Dich selbst auszuhalten –
mein größtes Vorbild als Kind
und doch will ich nicht Du sein.

Du bist das Swiffergeräusch um 5 Uhr morgens,
die eiserne Disziplin bei den täglichen Sportübungen.
Du bist die Pullerpause auf Autofahrten,
der Espresso im Café,
die Krankschreibung bei meinen Panikattacken.

Du bist auch
die besorgte Schweineomi,
der „lustige“ Mantel im Geschäft,
die zweite Kanne Tee am Abend.

Du bist das warme Licht, das die Kälte überstrahlt.
Du bist ein klimperndes Windspiel an der Tür und
die Beeinflussbarkeit in Person.
Du bist der spontane Gefühlsausbruch
und die steinerne Wand,
die Selbstlosigkeit
und die Egoistin.

Du bist das großzügigste Geschenk
und die beste Gastgeberin,
der 17. Parfumspritzer und
die lebenslang weiß bleibende Strähne.
Du bist vielleicht nicht die Auferstehung,
aber Du bist das Leben.

Und du gabst mir Flügel,
obwohl Du es bist, die geht.
Ich lasse Dich gehen,
lasse Dich frei
und hoffe, 
dass Du irgendwann nach Hause kommst.

Hommage an den Ort, mit dem ich brach

Deine Gemäuer sind mir zuwider;
was mich einst hielt, stößt mich nun ab.
Ich lege hier meine Jugend nieder,
schaufelte schweren Herzens ihr Grab.
Hier hat es begonnen, hier endete es:
ein bewegtes, weit entferntes Leben
nahm mich gefangen in Tristesse
und hatte mir nichts mehr zu geben
als immer dieselben Baustellen: Sackgassen,
weil ich hinter dem Meer kein Land sehen konnte,
kein Meer hinter Mauern für Menschen höherer Klassen –
was mir hierzulande fehlte, waren neue Horizonte.
Du warst mein sicherer Hafen; heute noch
laden Vergangenheitsorte ein zum Verweilen.
Bist so reich an Möglichkeiten, jedoch
für mich nicht geeignet zum Heilen.
Habe hier alles erlebt und probiert und weiß:
Es gibt keinen Platz mehr für mich
deine Weite zu eng, ich renne im Kreis
und danke dir doch, denn ich liebe dich.
Vielleicht fühl ich mich anderswo weniger leer.
Vielleicht ist Heimatlosigkeit ein ewiger Fluch.
Auf vergiftetem Boden, da wächst nichts mehr,
drum komme ich wieder – nur zu Besuch.

Der Fehler

Dass ihre Entstehung ein Unfall war, wusste sie bereits im Mutterleib,
doch sie wurde geliebt von der ersten Sekunde an.
Das sagte man ihr und sie glaubte ihnen,
aber die Worte versickerten in vehementer Selbstablehnung.
So begab sie sich auf die Suche nach jemandem,
der ihr beweisen konnte, dass sie mehr war
als ein Unfall; der sich für sie entschied, ohne zu zögern.
In ihren Träumen existierten diese Menschen;
unerreichbar wie die Sterne, mit denen ihre Mutter sie verglichen hatte.

Nur in ihren Träumen.
Sie verstand nicht, weshalb sich nie jemand für sie entscheiden konnte.
Mit ihren ständigen Versuchen fügte sie sich allerhand Schmerzen zu
im Krieg gegen sich, gemeinsam mit allen, für die sie nicht mehr war als
ein Unfall, ein Ausrutscher.
Nichts, was man festhalten könnte
oder sollte – dafür gäbe es zu viel zu korrigieren.

Schuld. Unzulänglichkeit. Unheil.
Es lag ja in ihrer DNA, sie hatte es verdient.
Und wer sollte sich auch für sie entscheiden,
wenn sie es selbst nicht konnte.
Und wie sollten sie auch nicht
ihre Märchen in Frieden weiterleben,
als hätte sie nie existiert.
Sie hatte es ihnen erlaubt. Allein sich selbst gestattete sie, zu viel zu fühlen.
Zu viel zu fühlen, doch
nicht genug zu sein.

Elegie an die Trauer

Wenn die Welt mehr nervt als du selbst,
du dich deinem Spiegelbild nicht stellst –
wenn alles völlig sinnlos scheint,
dein inneres Kind nonstop weint,
dich alles frisst und innerlich zersetzt
was anderen völlig gleichgültig ist,
wenn du dich nicht nur für ihre Ignoranz verletzt
sondern auch, indem du dich mit ihnen misst,

wenn Aufstehen zur größten Herausforderung wird,
weil sowohl der Wecker als auch die innere Kälte klirrt,
wenn du tagtäglich am Leben scheiterst
und stets die Liste an Unerreichtem erweiterst,
wenn andere ihre Zukunft planen
und du nur deine Trauerfeier,
dann weißt du, du fällst aus dem Rahmen
neidlos auf heile Welten – Anti-Biedermeier,

wenn du dich festhältst an den Dingen
die dich krank machen und bezwingen
Beziehungen, die verloren sind, retten –
um jeden Preis? Manche Brücken hätten
lange schon zurückgebaut werden müssen;
dennoch: du wolltest dich nicht beklagen,
und wo war die Notwendigkeit?
Wenn du es gewohnt bist, zu ertragen
(vielleicht für einen Schuss Lebendigkeit?),

wenn du lieber allein bist, weil niemand versteht
wie dreckig es dir manchmal geht,
nur weil du existieren musst
in einer Welt voller Verlust,
voll Schmerzen, Leid und Frustration,
dann hast du eine Depression.

Geliehenes Glück

Manchmal macht es mich so traurig,
zu sehen, wie Du mit Dir umgehst.
Dann will ich gut sein zu Dir,
so, wie Du es nie kennengelernt hast.
Ich blinzele die Tränen weg,
streiche Dir über die Wange
und betrauere still Deine Vergangenheit.
In mir ein Sturm, doch ein Lächeln genügt,
um Dich glauben zu lassen, ich sei die Starke.

Manchmal werde ich so wütend,
wenn Du erzählst, wie man dich behandelt.
Dann will ich alle anzünden, Dich rächen
und schützen, was mir wertvoll geworden ist.
Ich schlucke meinen Ärger
mit Deinem, und wir suchen nach rationalen Erklärungen
während ich insgeheim Morde plane.
Nach außen hin immer ausgeglichen – die Ruhe in Person,
nur um Dich nicht noch mehr aufzuwühlen.

Manchmal bin ich so glücklich mit Dir,
dass ich weinen könnte.
Und das macht mir Angst.
Ausgerechnet dieses Gefühl dominiert, wenn wir zusammen sind,
dass ich fürchte, es wird mich brechen
eines Tages, wenn es vergeht.
Und so tänzele ich um die Worte herum
in einem kläglichen Versuch, eine Leichtigkeit vorzutäuschen,
die wir beide nicht kennen.
Was würdest Du tun, wenn Du wüsstest …?
Und was, wenn Du es genauso angestrengt unterdrückst?

Manchmal halte ich mich für einen Idioten,
der alles Positive krampfhaft aus seinem Leben verbannt,
weil er weiß, dass es nur geliehen ist.
Und weil ich sämtliche Anzeichen, dass ich Gefühle habe,
als Schwäche deute
obwohl wir beide wissen, dass seine Zerbrechlichkeit
das Leben erst so wertvoll macht.
Und dann flackert Gnade in mir auf,
die anerkennt, dass Idioten oft zu viel gezahlt,
nur wenig dafür bekommen
und sich obendrein daran gewöhnt haben.
Bitte, sei wenigstens Du nicht länger so ein Idiot.

Auto-aggressive

Ich bin wütend auf die Welt
und weiß nicht, wohin damit.
Gegen mich?
Kennen wir schon; 
tut nur leider
nicht so gut. 

Thanatos ist mein Gefährte
schon viel zu lang,
laut Exorzist.
Eine alte Frau sehen sie in mir,
die mehr tot ist als lebendig –
„untypisch“ für eine Mittzwanzigerin.

Der Teufel auf der Schulter
immer lauter als der Engel.

„Gönnen Sie sich das doch.“
„Wann leben Sie endlich?“
„Das ist doch viel zu viel, was auf Ihren Schultern lastet.“
„Lasst sie schlafen. Sie braucht es.“

Ich weiß, ich weiß.
Lasst sie schlafen, verdammt. Lasst sie leben. Nur: Stellt ihr die Welt
solange für sie ab?